"Die Ära des Einkaufs bricht gerade erst an"

Michael Kaltenbach, Supply Chain-Experte in der Unternehmensberatung von IBM über die zukünftige Rolle des Supply Chain Managers in Unternehmen.

Herr Kaltenbach, die Neunzigerjahre waren das Jahrzehnt des Marketings, in der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts begann mit dem Ausbau der globalen Lieferketten das Zeitalter des Einkaufs und Supply Chain Managements. Was erwartet uns im nächsten Jahrzehnt?

Die Ära des Einkaufs und des Supply Chain Managements bricht doch gerade erst so richtig an. In den letzten Jahren ist das Bewusstsein in den Unternehmen zwar gestiegen, dass man sich vom Silodenken verabschieden muss und abteilungs- und unternehmensübergreifend an einem Strang zu ziehen hat, damit Prozesse funktionieren. Dieses Wissen wird jetzt aber erst in der Praxis breiter umgesetzt. Der Supply Chain Manager übernimmt dabei eine koordinierende Funktion. Er muss dafür sorgen, dass Kundenwünsche möglichst individuell erfüllt werden können, aber trotzdem die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, damit die Rendite weiter stimmt.

Der Chief Supply Chain Officer - kurz CSCO genannt - ist also auf dem Vormarsch?

In den USA hat sich tatsächlich in etlichen Chefetagen die Funktion des CSCO etabliert. In deutschen Vorstandsetagen dagegen ist der CSCO oder Chief Procurement Officer (CPO) noch eher selten. Die meisten Einkäufer oder Supply Chain Manager berichten hierzulande immer noch an den Finanzchef oder den so genannten Chief Operating Officer (COO). Aber Sie können davon ausgehen, dass der Supply Chain Manager in seiner Rolle weiter aufgewertet werden wird.

Die Interessenslage aller Beteiligten in der Wertschöpfungskette zu koordinieren, kann eine Sysiphosarbeit sein, vor allem dann, wenn man keinerlei Weisungsbefugnis besitzt. Warum wird sich Ihrer Ansicht nach sich die Supply Chain oder auch prozessorientierte Firmenorganisation weiter durchsetzen?

In der Krise haben wir besonders stark gemerkt, wie wichtig es ist, entlang der Wertschöpfungskette intelligent verzahnt miteinander auf ein Ziel zuzuarbeiten: auf die Wünsche der Auftraggeber möglichst flexibel reagieren zu können ohne dass man den Kostenrahmen sprengt. Viele Unternehmen glauben leider immer noch, sie könnten ihre Produkte auf den Markt drücken und alles würde gut. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kunden wollen nicht in erster Linie Produkte kaufen, sondern Lösungen für ihre Probleme. Das heißt, dass der Vertrieb maximale Flexibilität eingeräumt bekommen muss, aber gleichzeitig ihm immer wieder die Grenzen des Machbaren aufgezeigt werden müssen.

Was zeichnet einen guten Supply Chain Manager aus?

Sie brauchen für diesen Job eine schnelle Auffassungsgabe. Schließlich gilt es, die unterschiedlichsten Interessen jeden Tag aufs Neue unter einen Hut zu bringen. Wer seinem Vertrieb dabei helfen will, möglichst kundenindividuelle Wünsche zu erfüllen, muss auf der anderen Seite aufpassen, dass er sein Lieferantennetzwerk nicht verprellt, weil er unmögliche Anforderungen an die Zulieferer stellt. Einkäufer, die solche Prozesse mit gestalten, benötigen ein gutes Verständnis der Märkte, müssen bei allen Beschaffungen die Total Cost of Ownership im Auge behalten und ein Händchen für das Beziehungsmanagement zu Lieferanten haben, mit deren Know-how und Innovationen das eigene Unternehmen am Markt punkten kann. Denn der größte Teil an Innovationen wird in Zukunft nicht mehr im eigenen Unternehmen entstehen, sondern muss aus den verschiedensten Branchen, Weltregionen und Kompetenznetzwerken hinzugekauft werden.

Welchen Vorteil bieten Unternehmensberatungen für Berufseinsteiger im Supply Chain Management?

In der Unternehmensberatung bekommt man in kürzester Zeit die gesamte Palette des modernen Handwerkszeug von Supply Chain Managern beigebracht. Von der Prozessanalyse, über das Datenhandling bis zu Simulationstechniken und Organisationsmodellen.

Das Interview führte Julia Leendertse

(8. Dezember 2010)

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