Neustart

Einige Zeit haben sie ihre Karriere, ihren gewählten Berufsweg verfolgt und dann stellt sich bei manchem Berufstätigen das Gefühl ein, in einer Sackgasse zu stecken. Nicht jeder hat dann den Mut, sich das einzugestehen und einfach noch mal ganz von vorn anzufangen. Jobguide Professional stellt drei Neustarter vor, die sich was getraut haben: Mai Dang-Goy nahm über den zweiten Bildungsweg noch mal ein Studium auf, Frank Philipp wechselte die Branche und die Funktion und Ulrich Hemel pendelt schon seit Jahren ständig zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, Theologie und Business hin und her.


Mai Dong-Goy, Geschäftsführerin der Dussmann Beteiligungs- und Managementgesellschaft mbH in Berlin

Erst Krankenschwester, dann Bauingenieur

Mit der klassischen Rollenverteilung ist sie groß geworden und in eine typische Mädchenrolle ging Mai Dang-Goy in ihrem ersten Beruf. Doch dann erwachte der Ehrgeiz und sie ging ihrer Begabung für Mathe und Technik nach und sattelte um auf einen klassischen Männerberuf.

Routine kann Mai Dang-Goy absolut nicht ausstehen. Sie war noch keine 20, da graute ihr bereits bei der Vorstellung, noch 30 weitere Jahre beruflich das zu machen, was sie gerade machte. Zwei Jahre war sie damals als Krankenschwester in einer Unfallklinik in Oggersheim beschäftigt und merkte, dass sie eine schnelle Auffassungsgabe hat: „Ich fühlte mich in dem Beruf einfach nicht genug herausgefordert“, erzählt die Tochter laotischer Flüchtlinge.

Die schnelle Auffassungsgabe hat sie wahrscheinlich auch schon zu Schulzeiten gehabt, aber da war sie „schlicht zu faul“, wie sie heute rückblickend bekennt. So kam sie im ersten Anlauf über die Hauptschule nicht hinaus und ging dann gleich in die Krankenschwester-Ausbildung. Dieser Beruf entsprach der Rollenverteilung, die sie in ihrer Familie gelernt hatte: „Wir Mädchen mussten im Haushalt immer alles machen, mein Bruder nichts.“

Doch der Arbeitsalltag hat ihren Ehrgeiz geweckt und so ging die junge Frau den harten zweiten Bildungsweg bis zum Fachabitur, um dann an der FH Kaiserslautern noch Bauingenieurwesen zu studieren. Von der Krankenschwester zur Bauingenieurin – ein ziemlicher Schwenk, warum nicht Ärztin? „Ich wollte finanzielle Unabhängigkeit erreichen durch die akademische Ausbildung und die Arbeitsbedingungen von Ärzten erschienen mir nicht attraktiv“, sagt Dang-Goy.

Ihr Faible für Mathe legte dann die Wahl eines sehr handfesten Faches nahe. Erfahrungen in der neuen Disziplin sammelte sie schnell bei Praktika in Architektur- und Ingenieurbüros und einem Auslandsjahr in Turin, wo sie beteiligt war an einem sehr herausfordernden Tunnelbau-Projekt für die Olympiade.

Doch als sich die fertige Bauingenieurin 2003 nach ihrem Abschluss deutschlandweit bewarb, war die Lage aufgrund der Baurezession nicht so ganz entspannt. So nahm sie eine Chance im Facility Management von Siemens in München an. In dem Unternehmen, das wenig später von Hochtief übernommen wurde, trug man ihr nach ersten Projekten schon bald die Aufgabe einer stellvertretenden Objektleiterin an, später dann die Projektleitung in der BMW-Welt und im BMW-Museum in München, was Verantwortung für über 100 Mitarbeiter einschloss.

2009 wechselte Dang-Goy dann ins Facility Management der Dussmann-Gruppe. Das Unternehmen, das 2011 weltweit 1,66 Milliarden Euro Umsatz machte und rund 58.000 Mitarbeiter beschäftigt, ist ein globaler Multi-Dienstleister. Für Unternehmen, Krankenhäuser, Altenheime und Kultureinrichtungen übernimmt die Dussmann Gruppe Aufgaben vom Technischen Management über Catering, Sicherheits- und Empfangsdienste sowie Gebäudereinigung bis zum Kaufmännischen Management und Energiemanagement. In Berlin betreibt das Unternehmen zudem das Kulturkaufhaus.

Deutschlandweit managt und überwacht Mai Dang-Goy bei Dussmann Dienstleistungen, die jeweils in Servicegesellschaften gebündelt sind. Betreut werden zum Beispiel Krankenhäuser und Kultur­einrichtungen - darunter auch Schlösser und Gärten rund um Berlin. Operativ werden die Geschäfte von Projektmanagern gesteuert und die Ingenieurin reist mit ihrem „mobilen Büro“ quer durch das Land, um in Geschäftsleitungssitzungen zu überprüfen, ob die Prioritäten jeweils richtig gesetzt werden, keine Risiken entstehen und ob Führung, Wertschöpfung und Produktivität stimmen. In ihrer Rolle als Gesellschafterin nimmt Dang-Goy auch eine Aufsichtsratsfunktion in den Servicegesellschaften wahr und sorgt in Gesellschafterversammlungen dafür, dass in dem Dussmann-Geschäftsbereich, in dem sie seit 2011 Geschäftsführerin ist, Wirtschaftlichkeit und Qualität gewahrt bleiben.                                                           

Annette Eicker

 

Frank Philipp, gelernter Bauingenieur, verkaufte erst Bikinis, jetzt baut er Windenergieanlagen

Windkraft statt Wäsche

Statt kurzlebige modische Dessous zu vermarkten, plant Frank Philipp heute nachhaltige Projekte für die Energiewende. Ein ungewöhnlicher Karriereschritt – doch mit der passenden Weiterbildung zum richtigen Zeitpunkt ist ihm der Quereinstieg bestens geglückt.

Frank Philipp weiß, wie man frischen Wind in seine Karriere bringt. Vor drei Jahren hat der studierte Bau-Ingenieur nicht nur den Job und die beruflichen Aufgaben gewechselt, sondern gleich die komplette Branche: Früher hat er Bikinis vermarket, heute plant er Windparks. Dabei wollte er ursprünglich mal Häuser bauen: „Im Grunde bin ich schon zweimal im Leben als Quereinsteiger in einem völlig neuen Umfeld gestartet“, sagt der Ingenieur, der zunächst eher zufällig im Wäsche-Marketing gelandet ist.

Und das kam so: Während der Ausbildung an der TU München jobbte Philipp als Werkstudent im Marketing beim Wäschekonzern Triumph International. Mit einem Umsatz von 1,7 Milliarden Euro und weltweit rund 36.000 Beschäftigten zählt das Unternehmen mit Marken wie Triumph, Sloggi, BeeDees oder Hom zu den größten Dessous-Herstellern weltweit. Nach seinem Abschluss im Sommer 2001 bot seine Chefin dem bewährten Zahlen-Profi prompt eine Festanstellung im Online-Marketing an. „Ich fand das Thema damals spannend und habe zugesagt“, erzählt Philipp, der auch verschiedene Praktika bei Ingenieurbüros absolviert hatte und von den Gehalts- und Karriereperspektiven in der Baubranche eher ernüchtert war.

Als Projektmanager für Neue Medien betreute er bei Triumph die internationalen Internetprojekte des Konzerns, entwarf Web 2.0-Strategien und kümmerte sich um den Online-Auftritt der weltweit erfolgreichen Wäsche-Marken. Ein abwechslungsreicher Job – doch irgendwann meldete sich der Ingenieur in ihm zurück, der im schnelllebigen Modegeschäft die bleibenden Werte vermisste: „Ich wollte meine Energie und mein Wissen gerne für etwas wirklich Nützliches einsetzen“, sagt Philipp. 2008 kündigte er seinen Marketing-Job bei Triumph und heuerte bei einem Münchner Softwarehaus an, wo er als Leiter der Trainingsabteilung Kunden-Schulungen zu einer E-Commerce-Plattform organisierte. Doch wirklich angekommen fühlte er sich dort noch nicht.

Sein Ziel: Ein Job in der Boom-Branche Erneuerbare Energien. 2009 schrieb die Bundesregierung im Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG erstmals einen Öko-Strom-Anteil von 35 Prozent als Zielmarke für das Jahr 2020 fest – und Frank Philipp hatte ein nachhaltiges Wirkungsfeld für sich entdeckt. „Mir war klar, dass dort jede Menge ungelöste Probleme auf Ingenieure warten“, sagt er. Allerdings konnte er weder das erforderliche Fachwissen noch praktische Erfahrung darin vorweisen, wie man Sonne, Wind oder Erdwärme auf wirtschaftliche Weise als Energiequellen anzapft.

Also wagte er den kompletten Bruch mit seinem bisherigen Berufsleben als Marketing-Manager und ging zurück an die Uni. 2009 schrieb er sich für ein zweijähriges Weiterbildungsstudium zum Master of Renewable Energy and Energy Efficiency „Remena“ ein. Das englischsprachige Master-Programm wird an den Universitäten Kassel und Kairo gelehrt und zielt schwerpunktmäßig auf die Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen im Mittleren Osten und Nordafrika. Ein Großteil der Studenten stammt aus der Region. Auch Frank Philipp, der zum ersten Jahrgang gehörte, absolvierte ein Semester in Ägypten und reiste für seine  Masterarbeit nach Syrien.

Der mutige Schritt und die Lernbereitschaft haben sich für ihn ausgezahlt. Unmittelbar nach dem Studium stellte das Kasseler Ingenieurbüro Cube Engineering den frisch ausgebildeten Profi für Solar- und Windkraft ein. Statt online Bikinis zu vermarkten, plant Frank Philipp heute Windkraftanlagen und führt Windmessungen durch. „Als Ingenieur sehe ich langfristig auf dem Arbeitsmarkt die besseren Perspektiven für mich“, sagt der erfolgreiche Umsteiger.

Mit seiner Einschätzung liegt der Windkraftexperte absolut richtig. Denn mehr als 380.000 Menschen arbeiten heute schon bundesweit in den Erneuerbaren Energien. Allein seit Frank Phillip sein Studium aufgenommen hat, sind rund 50.000 neue Jobs entstanden. Und es sollen noch mehr werden: Mit der politisch jüngst besiegelten Energiewende wird der Bedarf an Fachkräften weiter steigen, Experten gehen von 500.000 Jobs im Jahr 2020 aus. Davon hat auch Frank Philipp schon profitiert: Im August hat er nahtlos den Job gewechselt. Bei Ostwind in Regensburg darf er als Projektentwickler jetzt eigene Windprojekte realisieren und trägt viel Verantwortung. Das Familien­unternehmen beschäftigt rund 100 Mitarbeiter in Regensburg, Straßburg und Prag und hat seit seiner Gründung vor 20 Jahren bereits 440 Windanlagen ans Netz gebracht. Der Quereinsteiger fühlt sich angekommen: „Die Stimmung im Unternehmen ist sehr gut, ich finde es super hier“, sagt er.

Kirstin von Elm

Standbein und Spielbein

Ende April 2012 hat Ulrich Hemel eine heikle Aufgabe übernommen: den Vorsitz der Geschäftsführung beim Seniorenheimbetreiber Casa Reha Holding GmbH in Oberursel. Die Gesellschaft mit rund 60 Häusern und 5.500 Mitarbeitern im Besitz des Londoner Finanzinvestors HGcapital braucht dringend ein besseres Image, denn wiederholt wurde in den Medien die Unvereinbarkeit von guter Pflege und unbedingtem Gewinnwillen am Beispiel der Casa Reha diskutiert.

Der Theologe mit wirtschaftlichem Sachverstand und Sanierungserfahrung soll es richten. Damit hat er einmal mehr das „Stand- und Spielbein gewechselt“, den Schwerpunkt seiner Arbeit vom Theoretischen ins Praktische verlegt. „Beides zusammen ist eines“, sagt Geschäftsführer Hemel. „Hier kann ich zeigen, dass managen aus mehr besteht als aus Kennzahlen und wirtschaftlichen Zielen, dass es Gefühle gibt und das Postulat der Menschenwürde.“  

Vieles auf einmal zu wollen, das begleitet Ulrich Hemel: Schon als Abiturient im hessischen Bensheim kann er mit einem Notendurchschnitt von 1,0 alles machen. Ein Medizinstudium liegt nahe. „Aber ich wollte möglichst viele meiner Interessen kombinieren“, sagt Hemel in der Rückschau. Was ihm weiterhilft, ist die Erkenntnis, dass es nicht unmöglich ist, gleichzeitig Verschiedenes in mehreren Orten zu studieren: Philosophie, katholische Theologie, Wirtschaftswissenschaften und Sprachen in Mainz, Rom und Regensburg.

Das Pensum schreckt den wissbegierigen wie ehrgeizigen jungen Mann nicht. Es bleibt ihm sogar Energie fürs Private: Mit 23 wird der aufstrebende Jungakademiker Vater. Und als seine Frau ihn verlässt, erzieht der 30-Jährige seine Kinder eben allein. Erst nach siebenjährigem Ringen mit der katholischen Kirche wird seine Ehe annulliert. Die Familie ernährt Hemel in dieser Zeit als Dolmetscher am Amtsgericht Regensburg, von Prozess zu Prozess vereidigt für Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch.

Parallel krönt der vielseitig Talentierte seine theologische Forschung mit Dissertation und Habilitation. Damals 32 Jahre alt reüssiert er mit einer Schrift über die Ziele der religiösen Erziehung – für ihn bis heute ein Thema, das über die Religion hinaus reicht und die Kompetenz beinhaltet Entscheidungen zu treffen, also urteils- und handlungsfähig zu werden. „Jeder ist Kapitän seines eigenen Lebensschiffs“, sagt Hemel. Seine Erziehungsideale finden sich inzwischen in Religionslehrplänen wieder, seit diesem Jahr auch in Österreich.   

Ulrich Hemel, für den das Leben eine Mischung aus Planung und Zufall bleibt, hat sich auch eine Hochschullaufbahn vorstellen können, aber die Zeit wird ihm zu lang, die die Amtskirche braucht, um ihn ehelos und mit den römischen Rechtsvorschriften in Einklang zu bringen. Nachdem er schon den Serviceleister Ecclesia Data gegründet hat, zieht es ihn 1991 zu Boston Consulting, wo er fürs Personalrecruiting zuständig ist, aber auch als Berater raus geht – zu Carl Zeiss etwa, wo damals Arbeitsplatzabbau auf der Tagesordnung steht. Nach fünf Jahren Sanierungsarbeit von außen will es der Stand- und Spielbeinwechsler wissen. Hemel wird Manager: „Ich wollte nicht mehr Beifahrer mit Karte auf dem Schoß sein, sondern selbst Auto fahren.“

Er heuert bei der Hartmann AG in Heidenheim an und bringt es bei dem Medizin- und Hygieneprodukthersteller bis an die Vorstandsspitze. 2003 wählt der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater ihn zum Manager des Jahres. Doch die erfolgreiche Globalisierung bringt Unfrieden in die Eigentümerfamilie – und Ulrich Hemel macht sich wieder auf den Weg: Gründung der Unternehmensberatung Strategie und Wert, Leitung des Möbelzulieferers Süddekor – und 2008 die Wahl zum Universitätspräsidenten der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Nachdem der Hochschulrat sich für den wirtschaftsnahen Theologen ausgesprochen hat, kommt es aber zu innerkirchlichen Auseinandersetzungen um den Mann, der sowohl mit religionsliberalem Gedankengut als auch mit einem Rom-unfreundlichen Lebenslauf Furore macht. Hemel ist inzwischen in dritter Ehe verheiratet. Im Mai 2008 wird das Bewerbungsverfahren um den Präsidentenposten erneut eröffnet – und der gläubige Katholik scheitert an der Amtskirche.

Die Wirtschaft hat ihn also wieder – wenn auch mit regelmäßigen Ausflügen ins Forschungsinstitut für Philosophie, ins Hilfswerk „Kinder ohne Grenzen“, ins Institut für Sozialstrategie und ins Schreiben und Lehren: „In meinem Arbeitsvertrag steht immer, dass die wissenschaftliche Arbeit bleibt“. So ist er nicht nur Autor von „Wert und Werte – Ethik für Manager“, sondern Professor Ulrich Hemel spricht auch an der Uni Regensburg im Wintersemester samstags über „Die kirchliche Zivilgesellschaft“ und die aktuelle Kirchenleitungskrise. Damit ist Casa Reha gerade das Stand- und die Lehre das Spielbein.

Ruth Lemmer