"Einkäufer werden zu Merchandise-Planern"

Interview mit Dorothea Ern-Stockum, Partnerin der Unternehmensberatung Kurt Salmon, über Social Commerce und dessen Auswirkungen auf den Handel

Frau Ern-Stockum, E-Commerce und der steigende Wettbewerb im stationären Handel verändern die Handelslandschaft rasant. Welche Trends stehen hier zurzeit im Vordergrund?

Ern-Stockum: Eine der größten Herausforderungen für Händler wird es in den nächsten Jahren sein, ein Multi-Channel-Konsumenten-Erlebnis zu entwickeln. Die Verbraucher nutzen mittlerweile alle Kanäle gleichermaßen und erwarten dementsprechend auch kanalübergreifende Services. Sie möchten im Web einkaufen, die Waren aber anschließend im Geschäft umtauschen können. Sie informieren sich zunächst im Netz über Produkte, wollen sie sich dann im Laden anschauen, kaufen aber schließlich wieder im Netz. Händler müssen deshalb zunehmend daran arbeiten, die Kanäle ganzheitlich zu betrachten, sowohl im Marken- wie im Sortimentsauftritt, im Service, als auch im Management der Supply Chain.

Wie wirkt sich das auf die Unternehmensorganisation aus?

Ern-Stockum: E-Com-Teams, also Abteilungen, die sich mit E-Commerce, Twitter, Mobile oder Social Commerce auskennen, die wissen, wie aktiv eingreifende Konsumenten den klassischen Online-Handel verändern und wie Unternehmen damit erfolgreich umgehen können, werden in Zukunft nicht mehr als exotische Abteilungen angesehen werden. Ganz im Gegenteil: Sie entwickeln sich zum Treiber des Customer Relationship Managements.

Wird auch der Trend zu Mass Customization - also zur kundenindividuellen Massenproduktion - weiter an Gewicht gewinnen?

Ern-Stockum: Ja. Die Erwartungshaltung, industriell gefertigte Produkte auf die eigenen Bedürfnisse individuell zugeschnitten zu bekommen, wird auf Seiten der Konsumenten durch den Siegeszug des Online-Handels, durch Social Media und neue Speciality-Formate zunehmen. Was mit den individuell im Internet durch den Kunden zusammengestellten Computern von Dell begonnen hat, wird immer mehr zu einem Trend, der auf breiter Basis die Konsumgüterindustrie ergreift. Ein sehr plakatives Beispiel stellt M&M dar, die ihren Kunden im Internet die Möglichkeit bieten, selber Farben zusammenzustellen und sogar individuelle Aufdrucke für die Schokolinsen festzulegen. Ein anderes Beispiel ist MyMuesli.com. Hier können Internetnutzer ihre Lieblingsmüslikomposition selber aus einer Vielzahl von Inhaltsstoffen zusammenstellen. Da solche Ansätze immer stärker Fuß fassen, ist davon auszugehen, dass Mass Customization mehr und mehr zu einer Grunderwartung der Kunden werden wird, statt ein besonderes Extra darzustellen.

Wie wird das die Anforderungen für Einkäufer und Logistiker verändern?

Ern-Stockum: Supply Chains und Logistik müssen immer schneller und flexibler werden. Die Unternehmen müssen sich darin üben, auch kleinere Losgrößen profitabel managen zu können. Die Einkaufsabteilungen werden sich zunehmend von der reinen Beschaffungsorganisation zur Merchandising- und Beschaffungsorganisation entwickeln. Planung und Beschaffung müssen enger miteinander verzahnt werden, um die Prozesse effizient steuern zu können und möglichst eng am Konsumenten zu sein. Das gilt im Übrigen auch für Unternehmen, die sich den Herausforderungen mit immer schneller werdenden Produkteinführungszyklen stellen.

Welche Karrierechancen ergeben sich dadurch für Einkäufer und Logistiker?

Ern-Stockum: Der Bedarf an Einkäufern, die Erfahrung haben in Sortimentsplanung, und in Flächenplanung, wird steigen. Die Handelsunternehmen werden auf Mitarbeiter angewiesen sein, die ein hohes analyistisches und planerisches Verständnis mitbringen und die Beschaffung der Produkte aus dem Eff-Eff kennen.

Das Gespräch führte Julia Leendertse.

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