Und während sich seit Anfang der 70er Jahre die Zahl krankheitsbedingter Fehltage in Unternehmen fast halbiert hat, haben Krankschreibungen aufgrund psychischer Beschwerden wie Stress, Burnout, Depression in den letzten zehn Jahren um 76 Prozent zugenommen. Im vergangenen Jahr führten nur diese psychischen Erkrankungen zu 60.000 Frühverrentungen. 

Was tun Sie für Ihre Gesundheit, damit Ihnen das nicht passiert? Vielleicht gehen Sie ja regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Zum großen Checkup? Belastungs-EKG? Großes Blutbild? Das tun viel zu wenige. Da schneiden schon Frauen nicht gut ab, wir Kerle aber noch viel schlechter. Was ist der Hauptgrund? Genau: Angst! Die Psychologen unterscheiden Hunderte von verschiedenen Ängsten. Aber die Hauptangst ist: Schiss vor dem Ergebnis! Er könnte ja was finden! Wussten Sie, dass 42 Prozent der bei Führungskräften in Gesundheits-Check-Ups gestellten Diagnosen den Managern vorher nicht bekannt waren? 

Aber was noch viel schlimmer ist, als wenn der Doc was findet: Es geht Ihnen beschissen und er findet nichts. Was denn dann? Und wenn der Arzt dann aufgrund der Symptome und Anamnese auch nur andeutet, es könne möglicherweise etwas „Psychisches“ sein, dann stehn Sie auf und verlassen wortlos die Praxis. Etwas „Psychisches“? Hallo? Ich bin doch nicht bekloppt! Soll ich jetzt auf die Couch, oder was? Oder gleich in die Klappse? Diese Diagnose passt vor allem nicht in unser männliches Helden-Selbstbild: Wer es bis zum Arzt schafft, der schafft es auch ins Büro. Kreuzbandriss, das ist ok, da steht man in einem halben Jahr wieder auf dem Platz. Meniskus kaputt? Hey, Verschleiß, aber in zwei Wochen lauf ich wieder ohne Krücken. Auch „Rücken“ geht noch. Aber Psyche? Geht gar nicht! Wirklich heldenhaft wäre, sich das einzugestehen, ohne sich deshalb gleich als Versager, Lusche und Weichei zu verurteilen.  

So wie von der Tankanzeige im Auto bekommen wir im richtigen Leben natürlich auch Signale. Fragen Sie sich mal: Wie sensibel bin ich für solche Körpersignale? Spüre ich die Verspannungen im Schulter-Nackenbereich überhaupt? Wie bewusst bin ich mir darüber, dass ich seit geraumer Zeit nachts nicht mehr durchschlafe? Bemerke ich dieses Zucken im Augenlid? Kriege ich mit, dass mein Magen mittlerweile sauer reagiert, ohne dass ich vorher einen knackigen Mosel-Riesling getrunken habe? Oder muss es mindestens ein Bandscheibenvorfall, ein Hörsturz oder ein Tinnitus sein, damit mir klar wird, dass da was nicht stimmt?

Wie sieht Ihr Verhältnis zwischen Anspannung und Entspannung aus? Die Botschaft lautet nicht: Arbeitet nur noch halb so viel! Aber: Sorgen Sie für sich – und machen Sie Pausen. Kein Leistungssportler käme auf die Idee, an 360 Tagen im Jahr bis an seine Belastungsgrenze zu gehen. Es gibt Saisonhöhepunkte und Phasen intensiver Belastung, und zwischendrin aktive und passive Regenerationszeiten. Dieser Wechsel von Power- und Ruhephasen kommt der Leistungsfähigkeit zugute. Im Job hat sich immer noch nicht überall herumgesprochen, wie wichtig diese kleinen und größeren Auszeiten sind. Wer 14 Stunden am Tag im Hamsterrad läuft, befindet sich in einem Zustand tätiger Besinnungslosigkeit!

Ein erster Schritt kann schon sein, mal zu schauen, unter welchen Rahmenbedingungen Ihre Körperzellen ihren Job verrichten. Ist der PH-Wert zu niedrig – typischerweise in Stressphasen – sind wir übersäuert, wir fühlen uns müde, erschöpft, sind empfänglich für Infekte und Allergien. 

Gibt Ihre Arbeit Kraft oder kostet sie Kraft?

Kommen wir zur dritten Zutat, dem Beruf. Drei Fragen hierzu: Haben Sie Arbeit? Üben Sie einen Beruf aus? Oder erfüllen Sie mit dem, was Sie beruflich tun, Ihre Berufung? Berufung, das ist ein großes Wort. Soll heißen: Haben Sie noch Spaß an Ihrer Arbeit und sehen Sie einen Sinn in dem, was Sie tun? Haben Sie noch immer ein Leuchten in den Augen, wenn Sie an Ihren Job denken? Das muss nicht so weit gehen, dass Sie jeden Morgen um fünf aus dem Bett springen und schreien: Chakka, endlich ins Büro, schade dass ich schlafen musste! Das wäre dann auch schon wieder bedenklich.

Das andere Extrem gibt´s öfter. Da ist der Job nur Mühsal und Fron, um sich die Existenz und ein wenig Spaß in der Freizeit zu erkaufen. Oder es geht um Status? Wenn der Status zum entscheidenden Ziel wird, schrumpft die Arbeit zu einem Mittel zum Zweck, den nächsthöheren Status zu erreichen. Wenn dann irgendwann die fällige Beförderung ausbleibt, wird die Arbeit zur sinnlosen Quälerei.

Viel Arbeit kann glücklich machen. Zu viel Arbeit kann krank machen. Der Unterschied liegt nicht unbedingt in der Zahl der Arbeitsstunden, sondern auch in den Umständen. Die Gefühlslage ist entscheidend, mit der ich die Arbeit mache. „Gute Arbeit“ ist gute Führung, genug Freiheitsgrade, Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln, Anerkennung, Fairness.

Die entscheidende Frage für Sie lautet: Gibt Ihnen die Arbeit Kraft? Oder kostet sie Kraft? Es geht darum, erst mal herauszufinden, wo ihre Interessen, ihre Neigungen, ihre Talente und Fähigkeiten liegen, bei welchen Aufgaben und Tätigkeiten und in welchem Umfeld ihr Herzblut wirklich in Wallung kommt und die Augen leuchten. Wenn ich weiß, dass ich die nächsten zehn, 20 oder 40 Jahre eh Geld verdienen muss, dann mache ich doch am besten etwas, was mich wirklich interessiert, was mir liegt, was mir Spaß macht und wo ich einen Sinn drin sehe. Die Wahrscheinlichkeit, darin gut, erfolgreich und glücklich zu werden, ist ungleich höher, als wenn ich mich in erster Linie an Arbeitsmarktprognosen orientiere. Oder daran, was Status bringt. Oder daran, was Papa für mich vorgesehen hat.

Sie können sich mal folgende Frage stellen: Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre? Immer noch, was Sie zur Zeit tun? Oder wäre das zumindest okay? Oder gehen Ihre Gedanken jetzt in die Richtung: Hey, wenn das mit der Kohle garantiert wäre, hui, dann aber nix wie ab, lieber heute als morgen. Selbst wenn Sie nur noch zehn oder 15 Jahre bis zur Rente haben: Die können verdammt lang werden.

Was wir jetzt für die ersten drei Lebensbereiche gemacht haben, also eine Bestandsaufnahme, Ihrer wichtigsten Beziehungen, Ihrer Gesundheit und beruflichen Situation, können Sie für die anderen Lebensbereiche Finanzen, Lebensphilosopie, Freizeit und Ihre Wohnsituation auch tun.

Bei den Finanzen fragt sich zum Beispiel, ob Sie zu den Leuten gehören, die Sachen kaufen, die sie nicht brauchen, von Geld, das sie nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die sie nicht mögen. Wäre es nicht eine Befreiung, mal die Konsum­ausgaben klein zu halten und Geld auszugeben für Erlebnisse, statt für Dinge?

Bei der Lebensphilosophie geht es um die Frage, was Ihnen wirklich, wirklich wichtig ist im Leben? Was ist – zur Zeit – der Sinn Ihres Lebens? Haben Sie das für sich heraus gefunden? Victor Frankl, einer der bedeutendsten Neurologen und Psychiater des letzten Jahrhunderts, hat sein Leben vor allem der Frage nach „dem Sinn des Lebens“ gewidmet. Seiner Überzeugung nach ist die Suche nach dem Sinn eine Grundmotivation des Menschen. Und wenn ein Mensch den „Willen zum Sinn“ nicht zur Geltung bringen kann, so Frankl, entstehen bedrückende Sinn- und Wertlosigkeitsgefühle, die zu Aggressionen, Sucht, Depressionen, Verzweiflung und Lebensmüdigkeit führen und auch psychosomatische Krankheiten und neurotische Störungen auslösen oder verstärken.

Den allgemeinen Lebenssinn schlechthin gibt´s wahrscheinlich nicht, sondern es geht vielmehr darum, in jeder Situation den Sinn des Augenblicks zu erkennen. Viktor Frankl hat das mal sehr schön gesagt: Das Leben hat den Sinn, den man ihm gibt.

Was Ihre Freizeit angeht, so gebe ich Ihnen den Tipp: Pflegen Sie ein Hobby, keine Ex-Hobbies. Fast egal was. Ob Sie ein Ehrenamt übernehmen oder Musik des Mittelalters auf Originalinstrumenten machen, ist völlig gleichgültig. Sie müssen damit dem Personalchef nicht Dynamik demonstrieren – es soll Ihnen einfach Spaß machen.

Das Wohnen ist auch wichtig, weil wir relativ viel Zeit, in der wir nicht arbeiten, zuhause verbringen. Dieses Zuhause kann eine Quelle der Entspannung, der Inspiration und des Wohlbefindens sein, muss es aber nicht. Da spielen eine Rolle, ob ich auf dem Land oder in der Stadt wohne, wie es mit der Infrastruktur und den Nachbarn aussieht. Also frei nach Ikea: Wohnst Du noch oder lebst Du schon?

Wenn Sie jetzt auf die Gesamtbilanz der sieben Lebensbereiche schauen, wie sieht´s aus? Alles im grünen Bereich? Dann herzlichen Glückwunsch! Bei den meisten aber wird´s eine Zick-Zack-Kurve sein. Kritisch wird´s, wenn einer oder gar mehrere Lebensbereiche tief im roten Bereich liegen, weil es Wechselwirkungen gibt. Wenn Sie zum Beispiel gesundheitlich angeschlagen sind, hat das Auswirkungen auf Ihre Leistungsfähigkeit im Job. Wenn Ihr Job Sie ankotzt, kriegen das auch Ihre Kinder zu spüren. Wenn Ihre Partnerschaft unterirdisch läuft, schlägt das auf Ihre Stimmung im Job und Ihre Gesundheit.

Wenn Sie mehrere Baustellen haben: Gehen Sie bloß nicht alle auf einmal an, sondern eine, bei der der Hebel am größten ist. Wenn Sie einen Tipp haben wollen, wie Sie am sichersten in den Burnout rauschen können: Versuchen Sie in jedem Lebensbereich bei einer zehn zu landen. Das geht nicht! Ich hab es versucht, es geht wirklich nicht! Ich kann nicht 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr mit meinem kleinen Sohn kicken, meiner Tochter malen und den beiden großen ins Kino gehen, gleichzeitig meine Frau von morgens bis abends beglücken und mit meinen Kumpels um die Häuser ziehen, während ich bei gemäßigtem, aber regelmäßigem Ausdauer- und Krafttraining darüber nachdenke, ...

Also: Genießen Sie das Leben! Es könnte Ihr letztes sein!

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