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Wir sind Europa

London, Paris, Madrid, Moskau, Zürich - die europäischen Metropolen sind bei Studenten nicht nur schicke Ziele für den nächsten Kurztrip, sondern auch beliebt, um Auslandserfahrung zu sammeln. Wir haben zusammengetragen, wie die einzelnen Länder in Sachen Praktikum ticken und wie man dort am Besten an eine coole Stelle kommt.

Europa wächst zusammen. Die Floskel, die Politiker oder Wissenschaftler gerne bemühen, haben Studenten und Absolventen längst mit Leben gefüllt. In den meisten Studienordnungen sind Semester oder Praktika in der Fremde inzwischen fest verankert. Und genauso schnell und häufig, wie sich Auslandserfahrung zu einem Must Have im Lebenslauf entwickelt hat, verschwinden Studenten mit Freuden für ein Semester oder für ein Praktikum ins Ausland.

Noch vor den USA ist dabei das gute alte Europa Lieblingsziel der deutschen Hochschüler.

Das belegt  auch eine aktuelle Umfrage des Hochschulinformationssystems (HIS) im Auftrag des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD): "Nach wie vor sind die westeuropäischen Länder das wichtigste Ziel für die Auslandsaktivitäten deutscher Studierender", fasst Ulrich Heublein, Projektleiter der Studie "Internationale Mobilität" bei HIS, zusammen. In 64 Prozent der studienbezogenen Auslandsaufenthalte ist Westeuropa das Ziel der Reise. Dabei stehen Großbritannien, Frankreich und Spanien an der Spitze der Gastländer. Elf Prozent der Studenten zieht es inzwischen aber auch nach Osteuropa.

Bei der Motivation steht laut HIS-Studie vor allem der "Erwerb sozial-kommunikativer Kompetenzen" im Vordergrund - sprich: Die Studenten wollen lernen, gut im Ausland, in einer fremden Sprache, in einer anderen Kultur zurecht zu kommen. Der Absolvent zeige, so Klaus Töpfer, Mitglied des Management Teams beim Personaldienstleister Access Kelly OCG, dass er sich jenseits seiner "Komfortzone" aufgehalten und dort bewährt hat. Er konnte sich auf neue Bedingungen einstellen und in einer fremden Arbeitswelt zurechtfinden. Solche neuen Erfahrungen halten sowohl die Befragten als auch viele Personal- und Studienberater, die keinen Zweifel an der Notwendigkeit einer Auslanderfahrung aufkommen lassen, für essenziell.

"Früher fiel es auf, wenn ein Auslandspraktikum im Lebenlauf stand. Heute fällt auf, wenn es in der Vita fehlt",

stellt etwa Günter Müller-Grätschel, Referatsleiter internationaler Praktikumsaustausch beim DAAD, fest. Wer keine Zeit im Ausland verbracht hat, muss im Bewerbungsgespräch für die meisten akademischen Jobs nicht nur mit kritischen Nachfragen rechnen, sondern hat zumindest bei sehr  international aufgestellten Konzernen und Mittelständlern deutlich schlechtere bis gar keine Chancen.

Dass die Studenten über das Auslandpraktikum die Sprache besser lernen, sei inzwischen sogar zweitrangig: "Die Firmen setzen ohnehin voraus, dass die Kandidaten fließend englisch sprechen", begründet Töpfer. Wichtiger seien die interkulturellen Erfahrungen. Um solche Qualifikationen nachzuweisen, sollten Auslandspraktika nach Ansicht aller Experten mindestens drei Monate dauern. "Deutlich kürzere Stationen bringen weder den jungen Arbeitnehmern noch den Unternehmen etwas", meint DAAD-Experte Müller-Grätschel.

Schmückt ein Auslandspraktikum den Lebenslauf, beweist der Bewerber aber noch eine ganz andere Fähigkeit: sein Organisationstalent. "Bei der Suche nach einem geeigneten Platz ist viel Eigeninitiative und gute Vorbereitung gefragt", weiß Müller-Grätschel. Hier hat Europa eine ganze Reihe Vorzüge zu bieten: Die Metropolen sind vergleichsweise nah und dank der Billigflieger günstig und gut erreichbar, die Sprachen - und Kulturen - sind deutschen Studenten in der Regel zumindest irgendwie vertraut. Zahlreiche langjährige Kooperationen zwischen den europäischen Hochschulen und gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen hiesigen und ausländischen Unternehmen bieten eine Menge Anknüpfungspunkte für interessierte Studenten. Und nicht zuletzt sind die bürokratischen Hürden bei einem innereuropäischen Praktikum in der Regel angenehm niedrig.

Dennoch sollten Studenten mindestens ein Jahr vor der Reise mit ihren Recherchen beginnen.

Es gilt, Förderprogramme ausfindig zu machen, einen Job zu finden und das Leben vor Ort zu organisieren.

Rund 300.000 Ergebnisse liefert allein die Suchmaschine Google zum Stichwort Auslandspraktikum. Den Interessenten bleibt bei der Fülle der Infos oft nichts anderes übirg, als sich schrittweise durchzufragen. Gute Anlaufstellen für eine erste Orientierung sind die akademischen Auslandsämter an den jeweiligen Hochschulen. Die Mitarbeiter liefern nicht nur wertvolle Infos über geförderte Erasmus- oder Leonardopraktika, sondern haben oft auch Unternehmensdatenbanken mit potenziellen Arbeitgebern oder vermitteln den Kontakt zu Studenten, die ihr Auslandpraktikum bereits hinter sich haben. Sich von diesen Tipps zu holen, lohnt auf jeden Fall. Viele geben ihre Erfahrungen auch auf Facebook oder StudiVZ weiter.

Bevor es ums "Wo?" und "Bei wem?" gehen kann, müssen Studenten für sich erstmal das "Wann?" festlegen.

Nach der Umstellung des Studiensystems auf Bachelor und Master bleibt vielen oft nur noch wenig Zeit für ein Auslandspraktikum, da in den Semesterferien häufig Prüfungen abzulegen sind. Da lohnt es, frühzeitig seine Optionen durchzuspielen und entsprechend langfristig zu planen. "Wer im Bachelor für das Praktikum ein Semester aussetzt, riskiert, den Anschluss an den 'Klassenverband' des Ausbildungsjahrgangs zu verlieren", gibt DAAD-Experte Müller-Grätschel zu Bedenken. Mit einem einjährigen Ausstieg würde man zumindest dieses Problem umgehen können. Eine clevere Alternative ist, Uni und Praxis zu verknüpfen und die Bachelorthesis bei einem Unternehmen im Ausland zu schreiben. Das ist in Sachen Organisation aber noch eine Idee aufwändiger, weil man Unternehmen und Prof in ein Boot holen muss.

Viele Studenten entscheiden sich deshalb, die Auslandsstation auf die Zeit zwischen Bachelor und Master zu verlegen. Der Vorteil: ausreichend Zeit. Der Haken: Mit der Exmatrikulation nach dem Bachelor verlieren die Kandidaten in der Regel den Studentenstatus und müssen sich meist auf völlig andere sozialversicherungsrechtliche Voraussetzungen einstellen (siehe Infokasten), sofern sie nicht ein Förderprogramm für Graduierte, wie zum Beispiel das Leonardo-Praktikum, ergattern.

Nach dem "Wann?" stellt sich die spannende Frage "Wohin?". Europa ist groß und die potenziellen Praktikums­chefs zahlreich. Sinnvollerweise steckt man erstmal seine eigenen Ziele fest: Geht es darum, den Alltag in einem ausländischen Unternehmen kennenzulernen? Braucht man Pluspunkte durch einen extra renommierten Firmennamen oder geht es einem "nur" um Inhalte? Will man lediglich die Sprache kennenlernen? Oder haben einen schon immer Spanien, Russland oder die Türkei interessiert?

Bei aller Freiheit des Denkens und der Fülle der Möglichkeiten sollte ein Praktikant in spe trotzdem im Hinterkopf haben, dass es hier immer auch um seinen späteren Jobeinstieg geht und wie sein Auslandsbesuch von potenziellen Arbeitgebern gewürdigt wird. Daher ist bei der Auswahl des Ziellandes mit entscheidend, was der Student später machen möchte. So sind für BWLer, die mit einem Einstieg in der Bankenbranche liebäugeln, London und Zürich als europäische Finanzzentren spannender als etwa Einsätze in Linz oder Basel - die eher in der Chemie- und Pharmabranche einen Namen haben. Die Modewelt blickt nach Paris oder Mailand und für Ingenieure attraktive Industriebranchen sind zum Beispiel in Frankreich und Spanien zu finden.

Zudem spielt die konjunkturelle Situation eines Landes eine wichtige Rolle. "Viele Industrien in Westeuropa haben derzeit immer noch sehr zu kämpfen. In einigen osteuropäischen Ländern herrscht dagegen ein wachsender Markt", sagt Access-Berater Klaus Töpfer. Aus seiner Praxis kann er bestätigen, dass sich daher viele Unternehmen zunehmend für Absolventen interessieren, die bereits Kontakt zu osteuropäischen Unternehmen geknüpft haben.

Aus diesen Gründen hat sich auch Siv Heimpold für ein Praktikum beim Anlagenbauer Voith in Sankt Petersburg entschieden. "Russland hat neben China und Indien einen der stärksten Wachstumsmärkte derzeit", sagt die Wirtschaftsingenieurin. Da sie bei ihrem Abschluss mit 23 Jahren im Vergleich zu ihren Kommilitonen noch recht jung war und ihr Berufserfahrung fehlte, setzte sie auf die Karte Russland, um ihren Lebenslauf aufzupeppen.

Wer sein Land schließlich ausgekaspert hat, muss weitere Informationen sammeln: Sind Praktika dort überhaupt üblich? Werden sie bezahlt? An welche Voraussetzungen sind sie geknüpft? Wie sind die Lebensbedingungen vor Ort? Jobguide.de hat die unter Praktikanten gängigsten Nachbarländer unter diesen Aspekten abgeklappert:

Text: Melanie Rübartsch

 

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